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Klecks Magazin 1/2018

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klecks ist das Magazin des pme Familienservice für junge Familien. Das Magazin deckt ein breites Themenfeld ab: von Erziehung bis Psychologie, von Gesundheit über Reisen bis hin zu Spieletipps und Veranstaltungsempfehlungen. klecks erscheint einmal im Jahr und liegt in unseren pme-Kitas, Standorten und Filialen für alle Eltern & Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kostenfrei aus.

„Sag mal, willst du

„Sag mal, willst du deinem Sohn nicht mal die Haare schneiden? Schwitzt er nicht bei der langen Matte?“. Ich schaute meine Freundin ungläubig an, und meine patzige Antwort folgte prompt – aber nur leise in meinem Kopf: „Lange Haare bei gleichaltrigen Mädchen sind aber okay, ja? Schwitzen Mädchen weniger? Und wer gibt dir das Recht, über das Aussehen MEI- NES Kindes zu urteilen?“. Gefangen im pink-blauen Wunderland Ich dachte, wir befänden uns längst in der Postgender-Phase. Doch weit gefehlt: Gerade die kleinen Alltagsbegebenheiten zeigen, dass es noch immer gravierende stereotype Vorstellungen unter uns Erwachsenen gibt. Mädchen und Jungen werden in Rollenklischees gepresst, lange bevor sie für sich selbst einen Weg wählen können. Eifrig befeuert wird das von der Spielzeug- und Werbeindustrie, die damit ein Milliardengeschäft macht. Du siehst aus wie ein Mädchen! Geschlechterstereotype sind temporär konstruiert. Noch im 18. Jahrhundert war es gang und gäbe, dass Jungs lange Haare trugen. Auch den Brauch, Mädchen rosa und Jungen hellblau zu kleiden, gibt es erst seit zirka 80 Jahren. Markus, Vater eines vierjährigen Sohns, erzählt: „Tim wollte zum Kita-Karneval unbedingt ein Prinzessinnenkleid tragen. Allerdings waren meine Frau und ich nicht auf die Reaktion der Kinder vorbereitet. Einige Ältere lachten über ihn und sagten, dass das doch kein Kostüm für Jungs sei. Natürlich war es nicht die Schuld der Kinder. Letztendlich plappern sie in diesem Alter häufig nach, was sie von Erwachsenen hören“. Was Großvater schon wusste ... Unbedachte Äußerungen von Onkel, Großmutter oder Tante können eine große Wirkung haben. Daher sind gerade Pädagoginnen und Pädagogen in der Pflicht, dieser Ausgrenzung Einhalt zu gebieten. „Kinder entwickeln eine Vorstellung von sich und von den ‚anderen’, sie lernen Gleiches und Ungleiches zu unterscheiden. Dieser Prozess muss mit viel Fingerspitzengefühl begleitet werden“, sagt pme-Fachberaterin und Pädagogin Domenica Licciardi. „Die Verantwortung der Pädagogen liegt darin, das kritische Nachdenken über Vorurteile zu fördern und Ängste abzubauen. Mit wachsenden kognitiven Fähigkeiten sind Kinder in der Lage, unwahre oder unfaire Äußerungen oder stereotype Vorstellungen zu hinterfragen“. „Sag mal, willst du deinem Sohn nicht mal die Haare schneiden? Schwitzt er nicht bei der langen Matte?“ Alles eine Frage der Gene? Klar ist, dass biologische Faktoren für die stereotypen Vorlieben von Kindern eine Rolle spielen. Eine mögliche Grundveranlagung wird durch Eltern und die Werbung allerdings verstärkt. Wer da ausscheren möchte, hat es mitunter schwer. Die Buchautorin Lena Gorelik, 36, schrieb in einem ZEIT-Artikel 2017, dass ihr Sohn ein rosafarbenes Fahrrad haben wollte, Großvater und Verkäufer jedoch für eine jungenhaftere Variante plädierten. Letztendlich entschied sich ihr Sohn für den lilafarbenen Mittelweg. Dieses Beispiel zeigt: Es wird Kindern schon früh sehr schwer gemacht, einen eigenen, von Vorurteilen unbefangenen Geschmack zu entwickeln. „Mit ca. 2,5 Jahren haben Kinder so viele Botschaften und Zuschreibungen zur Zugehörigkeit eines einzigen und definitiven Geschlechts erhalten, dass sie sich selber als Junge oder Mädchen definieren“, sagt Domenica Licciardi. Sie beginnen sich der Norm entsprechend zu verhalten und bestimmte „geschlechtstypische“ Vorlieben zu entwickeln. „Kinder lernen sehr schnell, mit welchem Spielzeug Jungen und Mädchen typischerweise spielen, welche Kleidung oder Frisuren sie tragen sollen“, erklärte Entwicklungspsychologin Brenda Todd von der City University of London in der WELT 2016. pme-Expertin Licciardi dazu: „Wesentlich ist, als PädagogIn diese Prozesse mitzubekommen und kritisch zu hinterfragen. Denn in einer geschlechterbewussten Pädagogik 34

© 2017 | Frida Kahlo und ihre Tiere, von John Parra, NordSüd Verlag geht es darum, die Kinder in ihren individuellen Interessen und Fähigkeiten zu unterstützen und zu fördern – unabhängig von gängigen klischeehaften Vorstellungen über Mädchen oder Jungen.“ Anja Umbreit, Diversity Managerin beim pme Familienservice, sieht es so: „Vor allem die über Generationen gewachsenen und heute häufig veralteten Rollenbilder hindern uns daran, unsere Kinder divers zu erziehen. Wir sollten uns von alten Zöpfen trennen. Kinder, die verschiedene Rollenbilder kennenlernen und ausprobieren dürfen, sind selbstbewusster und werden viel besser auf ein Leben in der vielfältigen Gesellschaft von morgen vorbereitet“. Ich Tarzan, Du Jane! Auch Mädchen-Mütter kennen das Problem mit den Rollenklischees nur allzu gut. Marie findet beispielsweise, dass es zu wenige gute Bücher und Filme für Kinder gibt, in denen Mädchen die Hauptrolle spielen und Stärke zeigen und nicht nur „dekoratives Beiwerk sind, das von den Männern gerettet wird“. In einer Gender-Studie aus dem Jahr 2011, in der über 5.000 Kinderbücher untersucht wurden, kamen in über 25 Prozent der Bücher keine weiblichen Charaktere vor. Unter den vom Time Magazine gekürten 100 besten Kinderbüchern aller Zeiten finden sich nur in 53 Büchern weibliche Charaktere, die sprechen. Mein Sohn mag die harmlosen Geschichten von Leo Lausemaus. Allerdings erschreckt es mich zuweilen, wie stark der Alltag der kleinen Mäusefamilie an alte Rollenklischees gekoppelt ist. So ist Mama Lausemaus meist zu Hause, geht einkaufen, putzt und bringt die Kinder in den Kindergarten. Vater Lausemaus ist der Hauptverdiener und tritt in den Geschichten immer nur dann auf, wenn väterlicher Rat gebraucht wird. Dies entspricht nicht der Realität in unserer Familie, in der beide Elternteile Vollzeit arbeiten und die Hausarbeit teilen. „Solche unzeitgemäßen Geschichten gibt es millionenfach. Sie repräsentieren einseitige Formen des Zusammenlebens und prägen schon in den Kinderköpfen Vorstellungen von Familie, Arbeit und Gesellschaft,“ betont Anja Umbreit. Gender-Marketing ist überall Die Werbeindustrie macht sich diese Rollentrennung zunutze. Mädchen wie Jungen wird in Produkten, Werbe- und Medieninhalten eine „imitierende Geschlechterrolle“ zugewiesen. Es gibt getrennte Leselernreihen für Mädchen und Jungen, Lebensmittel in rosa-blauen Varianten und sogar Schokoweihnachtsmänner mit rosafarbenen Mützen. Die deutsche Initiative Pinkstinks nennt dieses Phänomen „Pinkifizierung“ und klärt mit dem Leitspruch „Vielfalt ist Schönheit“ vehement dagegen auf. Die Spielwarenmesse in Nürnberg zeigte 2017, dass Spielzeuge immer technischer werden. Auch Mädchen sollen stärker für Roboter, Computer und digitale Spielereien begeistert und somit auf MINT-Berufe vorbereitet werden. So werden Konstruktionsspielzeuge speziell für Mädchen angeboten, oder auf einem Segway stehende Barbie-ähnliche Puppen, die mithilfe eines Smartphones bewegt werden. Was löblich klingt, hat jedoch einen Beigeschmack: Auch hier wird mit den Farben Rosa und Lila gearbeitet, um den Unterschied zur männlichen Zielgruppe deutlich zu machen. Gegenwind liegt im Trend Es geht aber auch anders: In Schweden zeigte ein Spielzeughersteller in seinem jährlichen Katalog, wie beide Geschlechter mit verschiedenen Spielzeugen spielen. In Großbritannien bietet eine Modefirma seit 2017 eine geschlechtsneutrale Linie für Kinder an. Auch soll dort in diesem Jahr stark genderstereotype Werbung verboten werden. Und hierzulande? Deutschland scheint von solchen Aktionen noch weit entfernt. Es hilft aber, dass Initiativen wie Pinkstinks Aufklärung betreiben und versuchen, die Genderketten zu sprengen. Solange wir Eltern aber unsere Köpfe nicht öffnen und unsere Wertvorstellungen überdenken, helfen keine neuen Gesetze oder Einzelaktionen von Produktherstellern. „Tim wollte zum Kita-Karneval unbedingt ein Prinzessinnenkleid tragen.“ 35